IRDISCH

Manche Tiere buddeln gerne in der Erde herum, graben Löcher oder gar unterirdische Gänge. Zu den dunklen Unterkünften führen meist zwei oder mehrere Zugänge. Mittels ihrer Instinkte und ausgeprägten Sinne, finden die Vierbeiner immer wieder den Weg an die Oberfläche. Ob sie sich dann noch einmal auf die Suche nach Futter machen können oder selbst als Nahrungsquelle dienen, liegt nicht immer in deren Händen bzw. Pfoten.

Auch wir Menschen graben in die Erde und konstruieren Gänge zum Beispiel Tunnelsysteme für Bahn, Auto oder langsamere Fortbewegungsarten. Wir bewegen uns in den Tiefen der Röhren und kommen schneller, oft auch sicherer von einem zum anderen Ort.

Und was kommt nach dem Tunnel?

 

Hinein

Ich reise gerne mit der Bahn. Unlängst hat mich folgende Beobachtung fasziniert: obwohl sich der Zug im Tunnel befand, schaute ich aus dem Fenster. Einerseits sah ich schwarz. Andererseits wurde die gewohnte Öffnung zur Welt plötzlich zum Spiegel. Statt des Durchblicks auf Landschaft, Tiere, Dörfer reduzierte sich der Blick auf das, was innerhalb das Waggons passierte und auf mich.

 

Im Vergleich zu anderen Situationen im Leben, tut sich eine verblüffende Ähnlichkeit auf:

In Momenten und Zeiten innerer Tunnelerfahrungen, der Einkehr entfällt der Blick auf äußere Geschehen, und die Wahrnehmung bündelt sich auf unser Selbst. Ein Blick ins Innere gibt den Weg ins Herz frei. Wir können sehen, wer aller Teil dieser Reise durch unser Leben ist, welche bereichernden oder auch ungebetenen Gäste mit auf dem Weg sind, wie frisch, ermüdet, begeistert, arrangiert, staunend, ... wir uns selbst erleben.

Gleichzeitig kann die Aufmerksamkeit auch auf ganz andere Aspekte gelenkt sein: sie zeigt mitunter Schwierigkeiten, Hindernisse, Hürden, die auf einmal ungefragt viel Raum einnehmen, die die  Wahrnehmung auf das Beschwerende bündeln.

 

Hinaus

Wie die Tiere wissen auch wir: Jeder Tunnel hat einen Ausgang, ein Ende. Auch die Einkehr in unser Inneres - unabhängig davon, worauf sich unser Fokus während dieser Zeit gerichtet hat. Und dann?

Auf der Zugfahrt erwartet uns das Leben 'draußen' wieder und begegnet uns mit Sonnenschein, Regen, einem Rudel Rehe, einer stehenden  Autokolonne, Menschen an Bahnsteigen, einer glitzernden Wasseroberfläche, Bäumen uvm.

Und im Inneren?

Vielleicht ist es, als könnten wir neu sehen, hören, fühlen. Alltägliche Begegnungen, oft zur Gewöhnlichkeit vertrottet und verwaschen, zeichnen sich wieder in klaren Konturen. Das Bekannte tritt unerwartet bewusst in unser Leben und macht das Kostbare selbst in Details deutlich. Das klingt zu pathetisch? Schauen Sie doch jetzt aus dem Fenster oder Ihren Lieben ins Gesicht und lassen Sie es mich wissen, wenn sie dort nichts Staunenswertes finden. Sollte Sie diese Begegnung jedoch zu einem Lächeln, einer Träne, zum Jodeln oder Tanzen ... berühren, ja, dann fühlen Sie wohl, dass Sie mit dieser Welt verbunden, als bedeutsamer Teil in einem großen Ganzen geborgen sind.

 

Diese Gewissheit ist einfach ÜBERIRDISCH.

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