HERMANN, WAS MACHST DU DA?

Ich liebe Loriot und könnte bei seinen Nummern und Filmen sterben vor Lachen. Neben ‚Das Ei ist hart‘ zählt ‚Hermann‘ zu einem meiner absoluten Favoriten. Eine kurze Beschreibung der Szenerie soll hier reichen: Hermann sitzt entspannt im Wohnzimmersessel, Musik im Hintergrund.

Seine Frau Herta fragt mit zunehmend genervter Stimme, was er denn mache, weshalb er sich dies und jenes nicht gönne, bringt unzählige Vor–schläge samt Widersprüchen und Vorwürfen und letztlich den Ruhe suchenden Hermann aus der Fassung.

 

Sitzen oder widersetzen Sie sich lieber?

WAS MACHST DU DA?

In den letzten Wochen ertappe ich mich selbst oft bei der Frage ‚Was ist als nächstes zu tun? Was ist noch zu erledigen?‘. Natürlich bringt Selbstständigkeit die Gefahr des ständigen Tuns mit sich, doch die Thematik stellt sich auch Angestellten, Frauen und Männern, die ihre Zeit den Kindern zu Hause widmen, Schülern mit Lernaufträgen etc. Die Häkchen der Erledigung auf der langen ToDo-Liste bringen Erleichterung – in dem Irrglauben, das bliebe auch so.

Wer diese Thematik nicht kennt, möge mir bitte umgehend die Kontaktdaten zukommen lassen – ich buche sofort ein Seminar.

Es ist, als wollten wir uns wie Hermann in den Lehnstuhl zurücklassen und ständig quasselt eine Stimme in überhöhter Frequenz, ob wir daran schon gedacht hätten, warum wir dies lassen und jenes nicht schon längst erledigt hätten, was wir uns dabei dächten, einfach so zu entspannen ... Steigen wir unbedacht in die – innere und äußere – Betriebsamkeit ein, nimmt sie uns rasch in ihre Arme, besser ihre Fänge und hält uns sicher. Und gefangen.

Von selbst hört dieser Teufelskreis nicht auf.

Was machen wir da eigentlich?

 

WAS WILLST DU DENN?

Kennen Sie das Nebenbei? Schreiben und nebenbei Musik hören. Telephonieren und nebenbei kochen. Autofahren und nebenbei eine Nachricht tippen. Wollen wir so richtig bei uns ankommen, bei dem, was wir tun, gelingt das nicht nebenbei. Wollen wir das so?

Fragen Sie sich doch einmal, wie die Mahlzeit schmeckt, wenn Sie nebenbei die Zeitung lesen – einer der beiden Inhalte geht ins Leere, der Geschmack oder der Text. Ich weiß, es wird behauptet, wir seien multitaskingfähig. Das mag sein und es ist auch zeitweise notwendig. Doch werden wir dem Leben gerecht, wenn wir von einer Achterbahn in die nächste steigen, bloß, weil wir dazu fähig sind?

 

Welches Tun oder Lassen erlebten Sie zuletzt bewusst, befreit, mit Leichtigkeit?

Was gewinnen Sie durch das gleichzeitige Erledigen mehrerer Dinge?

Wobei kann Ihre Seele nach- und ankommen?

 

Mir scheint, dass wir in unseren Gefilden besser im Tun funktionieren als im Lassen schlicht zu sein. Welches Lebewesen kann sich nur in der Expansion entwickeln? Ist ständig der Sympathikus im Vordergrund, vermehrt sich die Spannung in unserem Körper - mit all seinen Konsequenzen und Nebenwirkungen. Unser Parasympathikus braucht seine Chance, damit wir im Gleichgewicht bleiben und aus der Ruhe, aus dieser Kraft wieder wirken können. Ich schreibe mir diese Erinnerung gleich selbst hinter meine Ohren, an die Nasenspitze oder am besten ins Herz.

Kann im schlichten Sein genug Lebensberechtigung liegen?

Kann es auch so sein, dass wir die Stille brauchen, um der Lebendigkeit Kraft zu verleihen?

Kann uns womöglich das zweckfreie Lassen einfach Freude schenken, an Dankbarkeit erinnern?

 

Womöglich begegnen wir uns dann selbst, erzählen einander von dem, wie es gerade ist und finden Verständnis, wenn wir auf die Frage ‚Was machst du gerade?‘ schlicht antworten:

ICH SITZE

Kommentar schreiben

Kommentare: 0