HÜHNERBRUST

Ein erster wunderbarer Urlaubstag ging in den Abend über, und wir kamen auf einem Platz zu sitzen. Der Himmel offen, die Gäste auch, und sie beginnen zu spielen – die Musiker eines Jazz-Quartetts. Das Ergebnis ist gut, vermag aber erstaunlicherweise nicht den Weg in mein Herz zu finden.

Kurze Zeit später, am Weg ins Quartier, tanzten Menschen auf der Straße, von zwei jungen Männern an Kontrabass, Gitarre und Stimme in Brand gesetzt. Deren musikalische Qualität hatte durchaus Luft nach oben, doch sie berührte unglaublich.

Wann erleben Sie sich in  Gemeinschaft?

EINSAM

Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Quartett vorwiegend aus Solisten bestand, die gleichzeitig eine Bühne nutzten und darauf stolzierten. In meiner Wahrnehmung war das musikalische Können der Vier auf dem Podium perfekt. Das Publikum applaudierte.

Zwei Kilometer weiter dann eine Begeisterung, die bis zur anderen Straßenseite reichte. Diese Freude, Lebendigkeit, Ausgelassenheit waren ein Traum. Das Publikum tanzte.

 

Kenny Werner beschreibt in einem Interview die Herangehensweise für ‚Effortless Mastery‘:

‚Am Institut versuchen wir zunächst, unseren beschränkten Geist zu überwinden, das heißt: Wie komme ich voran, spiele ich gut, mache ich Fehler, ich hoffe, ich mache keine Fehler.

Es wäre eine Schande, als Musiker zu leben und zu sterben mit dem letzten Ziel, keine Fehler zu machen. Wirklich eine Schande.

Der grundsätzliche Impuls ist es, herauszutreten aus unserer egoistischen Angst, bloß allen anderen gefallen zu wollen. Das Erste, was wir versuchen zu tun, ist, die Leute von ihrem eigenen vorgefassten Weg abzubringen. Ironischerweise kann etwas nie authentisch sein, wenn du von der Angst besetzt bist – ist das auch authentisch? Authentisch ist es, wenn du dir um nichts Sorgen machst. Und was immer entsteht, du wirst es anerkennen. Das ist authentisch.‘

 

Was lässt Ihre innere Hühnerbrust anschwellen und sich in Szene setzen?

Wodurch spricht Ihr Herz, steckt andere an – aus schlichter Freude – wie Kinder, die auch im Regen tanzen?

 

GEMEINSAM

Es geht nicht darum, eine musikalische Formation gegen die andere auszuspielen, über die Qualität ihrer Performance zu urteilen. Ich kenne es auch aus eigener Erfahrung, dass manche Auftritte einfach nicht von der Hand gehen, wie sie vorbereitet oder erhofft sind. Worum es mir geht, ist das menschliche Phänomen: beeindrucken wollen, womöglich die eigene Größe auf Kosten anderer demonstrieren.

Wenn wir ehrlich sind, wirken wir in solchen Situationen eher klein-lich. Vielleicht wird der Druck spürbar, mehr sein zu müssen, als wir sind; oder es breitet sich der Irrtum aus, wie würden so, wie wir sind, nicht reichen; oder es quält uns der Verdacht, wir sollten etwas oder jemand darstellen, anstatt in Werners Worten 'sorgenfrei authentisch' zu sein.

Wenn wir noch ehrlicher sind, sitzt hinter all dem Angst – im Herz, im Genick, im Magen.

Bleiben wir Gockel, so plustern wir das Gefieder, damit niemand das Klein-Sein bemerkt und krähen uns und anderen die Unehrlichkeit ins Ohr.

Bleiben wir ehrlich, reicht, was und wie es gerade ist – egal, ob wir ein Instrument spielen, ein Missgeschick eingestehen müssen oder einander abends vom Tag erzählen.

 

FÜHLEN

Die Menschen vergessen,

was du sagst

und was du tust.

Aber wie sie sich

in deiner Gegenwart

gefühlt haben,

vergessen sie nie!

Diese Erinnerung von Maya Angelar hängt neben meiner Haustür. Wir können Aussagen von uns geben, so tun als ob, doch was wesentlich ist, brauchen wir nicht zu demonstrieren - es bleibt in gefühlter Erinnerung.

 

Wie wäre es, wenn wir den Gockel weiter am Misthaufen krähen lassen und stattdessen mit-einander im Dialog bleiben - voll Offenheit und

MIT DEM BRUSTTON DES HERZENS

 

Kenny Werners Zitat habe ich dem Buch ‚But beautiful – Nichts existiert unabhängig‘ von Erwin Wagenhofer und Sabine Kriechbaum entnommen (S. 22f, Kunstmann, München 2019).

Eine wunderbare Ergänzung zum gleichnamigen Film.

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